Wir trauern um Ruth Wolf-Rehfeldt.
Sie war, ähnlich wie Carlfriedrich Claus, eine der singulären Künstlerpersönlichkeiten der DDR und später des vereinten Deutschland: Ruth Wolf-Rehfeldt. Ihre „Typewritings“ genannten Schriftstücke formten mit den Lettern einer alten Schreibmaschine „Erika“, Modell 12, subtile Wort-Bild-Werke, die sensibel und kritisch die zerrissene, gefährdete Welt spiegelten, in der sie lebte.
Geboren am 8. Februar 1932 in Wurzen, absolvierte sie von 1947 bis 1950 eine Lehre als Industriekauffrau. So wurde ihr die Schreibmaschine zum vertrauten Arbeitsmittel. 1950 zog sie nach Berlin, studierte ein Jahr lang Philosophie. 1954 lernte sie ihren späteren Mann Robert Rehfeldt kennen, den berühmten Mail-Art-Aktivisten. Über ihn wird es später auch einen Austausch mit Carlfriedrich Claus geben. Zunächst aber beginnt Ruth Wolf-Rehfeldt autodidaktisch zu malen und zu zeichnen. Sie findet eine Anstellung bei der Akademie der Künste, ab Anfang der 1970er-Jahre entwickelt sie ihre Schreibmaschinengrafiken und schreibt Gedichte. In kleinen Papierformaten, wie sie eben in die Schreibmaschine passen, baut die Künstlerin aus Buchstaben und Satzzeichen Gedankengebäude, die sich leise und nachdenklich der Welt zuwenden. So entstehen zum einen grafische Figuren zwischen Auflösung und Verdichtung, Erinnern und Vergessen, zum anderen Wortspiele, die die Welt des Kalten Krieges, der Umweltzerstörung und der Reglementierung in der DDR kritisch kommentieren. In dem Blatt „Das letzte ABC“ aus dem Jahr 1983 stehen die Buchstaben A, B und C für atomare, biologische und chemische Waffen und bilden wie im Blatt „Gefährliches Gleichgewicht“ eine fragile Balance, die immer in Gefahr ist. In zahlreichen Blättern nimmt sie Bezug auf das Verhältnis des Menschen zur Natur, zum Teil lange bevor Umweltschutz zu einem beherrschenden Thema wurde. In dem Gedicht „Zirkel“ beschreibt sie die Situation vieler Menschen in der DDR (und wohl nicht nur dort):
Ich will
was ich will
aber was ich will
kann ich nicht
Ich kann
was ich kann
aber was ich kann
soll ich nicht
Ich soll
was ich soll
aber was ich soll
muß ich nicht
Ich muß
was ich muß
aber was ich muß
darf ich nicht
Ich darf
was ich darf
aber was ich darf
will ich nicht
Ihre Texte und Bilder sind nicht gealtert, berühren zeitlos und erinnern an die Fehlbarkeit des Menschen:
Mühsam
wachsen
werdende Strukturen
Doch in eingefahrne Spuren
Gleiten mühlos wir zurück.
Vielleicht war auch diese Enttäuschung über die Lernunwilligkeit der Menschen eine Ursache dafür, dass Ruth Wolf-Rehfeldt 1990 ihre künstlerische Produktion einstellte. „Ich hatte den Eindruck: Es gibt so viel Kunst, da brauche ich nicht auch noch welche machen“, erklärte sie später in einem Interview. Zudem empfand sie wohl schmerzlich, dass Kunst in der DDR einen anderen Stellenwert und eine andere Bedeutung gehabt hatte als nun auf dem freien Markt der neoliberalen, sich digitalisierenden Gesellschaft. So konsequent sie zuvor meist in den Abendstunden, neben ihrer Brotarbeit, an der Schreibmaschine saß, so konsequent ließ sie die nun unberührt.
Ruth Wolf-Rehfeldt bestritt bis 1989 zahlreiche Ausstellungen, in der DDR, aber auch in Polen, Ungarn und Schweden. Ihre Arbeiten wurden weltweit gesammelt, doch war sie nur Eingeweihten bekannt. Zwar ist sie 2005 in Chemnitz in der großen Ausstellung „Schrift, Zeichen, Geste: Carlfriedrich Claus im Kontext von Klee bis Pollock“ vertreten, doch wiederentdeckt wird sie erst 2012, als das Museum für Moderne Kunst Bremen ihre eine große Retrospektive widmet. 2017 wird sie zur Documenta eingeladen, 2021 erhält sie den Gerhard-Altenbourg-Preis, 2022 den Hannah-Höch-Preis für ihr Lebenswerk. 2023 widmet ihr das Das Minsk Kunsthaus in Potsdam eine Ausstellung. Am 26. Februar ist Ruth Wolf-Rehfeldt 92-jährig in Berlin-Buch gestorben, wie ihre Galerie ChertLüdde mitteilte. In ihrer Schreibmaschinenkunst wird sie unter uns bleiben – auch dann noch, wenn es längst keine Schreibmaschinen mehr gibt.
Matthias Zwarg, 28.02.2024