Er war Schriftsteller, Essayist, Verleger, Kurator – vor allem aber war ein selbstloser Freund und Förderer von Schriftstellern und Künstler, die es ohne ihn schwerer gehabt hätten. Zum Tod von Gerhard Wolf.
Von Matthias Zwarg
Wieder solch ein Verlust. In vielen Arbeitszimmern und Ateliers wird getrauert werden um einen Menschen, dessen größtes Talent es wohl war, Talente in anderen Menschen zu erkennen, zu fördern und zu begleiten.
Die Literatur- und Kunstlandschaft, nicht nur im Osten Deutschlands, sähe anders aus ohne ihn. Wer weiß, was aus Schriftstellerinnen und Schriftstellern wie Sarah Kirsch, Volker Braun, Adolf Endler, Jan Faktor, Karl Mickel, Andreas Reimann, dem Künstlerphilosophen Carlfriedrich Claus, später dann Bert Papenfuß-Gorek, Gabriele Stötzer geworden wäre, wenn sich Gerhard Wolf nicht für die Veröffentlichungen und Verbreitung ihrer Werke eingesetzt hätte? Selbst die Karriere seiner berühmten Frau Christa Wolf, deren erster und kritischster Leser er immer war, hätte anders verlaufen können.
Gerhard Wolf wuchs in Deutschlands dunkelsten Jahren auf. Geboren am 16. Oktober 1928 in Bad Frankenhausen, Vater Buchhalter, die Mutter, als er zehn Jahre alt war. Der faschistische Krieg unterbrach seine Schulausbildung, 1944/45 wurde er noch als Flakhelfer eingesetzt, geriet in amerikanische Gefangenschaft. Nach der Entlassung schloss er das Gymnasium 1947 mit dem Abitur ab, war danach erst einmal Neulehrer in Thüringen. Von 1949 bis 1951 studierte er Germanistik und Geschichte in Jena, später noch einmal von 1953 bis 1956 in Berlin. Da hatte Gerhard Wolf schon erste Berufserfahrungen als Rundfunkredakteur in Leipzig und Berlin gesammelt. Ab 1957 arbeitete er als Schriftsteller, Drehbuchautor, Essayist, Kritiker, vor allem aber als Lektor beim Mitteldeutschen Verlag in Halle/Saale. So erlebte er auch die Auseinandersetzungen um den Roman „Nachdenken über Christa T.“ seiner Frau Christa – sie hatten 1951 geheiratet – mit, der 1968 erschien und von der DDR-Kulturpolitik heftig angegriffen wurde. In Halle hatte das Ehepaar Wolf auch den damals selbst attackierten Maler Willi Sitte kennengelernt und sich seitdem intensiver mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt, gesammelt und propagiert.
Doch wie so viele, die nach dem Zweiten Weltkrieg ehrlichen Herzens im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands eine andere, friedliche, sozialistische Gesellschaft aufbauen wollten, lernte auch Gerhard Wolf bald die Grenzen des Möglichen kennen, die eine sich zunehmend von den Menschen und ihrer Lebenswirklichkeit entfernende SED-Bürokratie setzte. Einer der Tiefpunkte kam sicher 1976 seine Unterschrift unter die Resolution, mit der DDR-Kulturschaffende gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestierten. Danach wurde Gerhard Wolf aus der SED ausgeschlossen, der er seit 1946 angehört hatte. Die Staatssicherheit beobachtete das Ehepaar Wolf schon seit 1969. Doch weggehen kam für ihn wie auch für seine Frau nicht in Frage. Gerhard Wolf kämpfte weiter auf seine stille, freundliche, aber auch beharrliche und konsequente Art darum, dass originelle und kritische Stimmen in der Literatur und Kunst ihren Platz bekamen.
Ins damalige Karl-Marx-Stadt und nach Chemnitz hatte Gerhard Wolf immer besondere Beziehungen. Carlfriedrich Claus hatten die Wolfs schon 1971 kennengelernt – Gerhard Wolf: „Das war eine Initialzündung für mich.“ – später konnte der einzigartige Sprach- und Denkkünstler Claus einige seiner berühmten Mappenwerke in Gerhard Wolfs Janus-Press-Verlag veröffentlichen. Über Claus lernte Gerhard Wolf auch die Künstlergruppe Clara Mosch kennen, die er lebenslang schätzte. Noch vor wenigen Monaten lobte er Thomas Ranft als „einen der besten, wenn nicht den besten Radierer der DDR“ und würdigte die Entwicklung der Clara-Mosch-Künstler, die „zu einem großen Befreiungsschlag nach allen Richtungen“ ausgeholt hätten, „der ihnen auch gelang“. Wer Gerhard Wolf mit Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit überzeugt hatte, dem war er ein lebenslanger allerbester guter Freund. Es gibt nicht mehr viele solcher Menschen – wissend und einfühlsam, selbstlos und konsequent. Er fühlte sich nie „im Schatten“ seiner Frau, er wirkte auf seine Art und wurde und wird dafür geschätzt und geliebt. Am Dienstag ist Gerhard Wolf im Alter von 94 Jahren in Berlin gestorben, wie die Familie mitteilte. Für ihn werden viele Kerzen in vielen Fenstern brennen. Er wird auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof neben Christa Wolf beerdigt.