Carlfriedrich Claus (1930 in Annaberg im Erzgebirge geboren, 1998 in Chemnitz gestorben) gilt als Solitär in der deutschen Kunstlandschaft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und zählt zu den wichtigsten KünstlerInnen seiner Generation und seines Wirkungskreises.
2018 erschien der Briefwechsel zwischen Christa und Gerhard Wolf und Carlfriedrich Claus (Nun schauen mich immer mindestens vier Augen an: Der Briefwechsel 1971–1998, Chemnitzer Verlag). Er spiegelt den intensiven geistigen, künstlerischen und freundschaftlichen Austausch zwischen Carlfriedrich Claus und dem Autorenpaar.
In Folge dieses Publikationsprojektes entstand die Idee, Beispiele des komplexen Werkes von Claus einem breiteren Publikum in Chemnitz öffentlich zugänglich zu machen.
Schon Claus selbst ließ von seinen doppelseitig auf Transparentpapier geschriebenen Sprachblättern Vergrößerungen anfertigen und installierte sie im Raum. Diese Idee wird mit der Präsentation zweier Werke an den beiden Haltestellen am Chemnitzer Theaterplatz aufgenommen und stellt durch die räumliche Nähe eine Verbindung zu den Kunstsammlungen Chemnitz her, welche die Stiftung Carlfriedrich Claus-Archiv beherbergen.
Die Chemnitzer Verkehrs-AG unterstützte das Projekt von Beginn an und begleitet es vom Entwurf bis zur Herstellung.
Die beiden ausgewählten Sprachblätter stehen und sprechen für sich. Zugleich verweisen sie abermals auf die enge Beziehung von Claus zu den Wolfs.
Carlfriedrich Claus, Eulenspiegel-Reflex, 1964/1965, Feder, Tusche, zweiseitig auf Transparentpapier, 29,8 x 21 cm, Z 379, Kunstsammlungen Chemnitz, Stiftung Carlfriedrich Claus-Archiv © VG Bild-Kunst Bonn 2025, Fotomontage: Martin Hoffmann
Eulenspiegel-Reflex: Man erkennt deutlich das Antlitz des alten Eulenspiegels mit der Narrenkappe, den schelmischen Augen und einem zerfurchten Gesicht als Spiegel – die „zerstörte Spiegelung“ eröffnet an den Scherbenrändern neue Perspektiven, an denen entlang Claus seine Landschaft aus Sprachstrukturen entwickelt und damit seine gesellschaftliche Utopie formuliert. Die Figur des „weisen Narren“ faszinierte ihn, da mit ihr „Herrschaftsstrukturen in Frage gestellt wurden und Zwänge von oben bewusst von unten zerstört werden“ (Claus).
Auch Christa und Gerhard Wolf beschäftigten sich mit der Gestalt des literarischen Helden, spätestens als dem Autorenpaar Ende der 1960er-Jahre das Verfassen des Drehbuchs zu einem geplanten Eulenspiegel-Spielfilm angetragen wurde. 1971 übergaben Christa und Gerhard Wolf die vorläufige Drehbuchversion an die DEFA. 1972 erschien Till Eulenspiegel. Erzählung für den Film. Am 1. Juni 1996 hatte die Bühnenfassung der Filmerzählung Premiere am Chemnitzer Theater, der Eulenspiegel-Reflex von Claus war das Motiv für das Plakat. Wolfs waren zur Premiere anwesend, Carlfriedrich Claus konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht dabei sein.
„Ganz sicher kann man Till Eulenspiegel in verschiedene Zeiten legen […]. Man könnte ihn auch zeitlos sehen: der Narr (als Rolle, als Funktion) im Räderwerk der Geschichte … Uns interessierte von Anfang an eine Gestalt, die, aus naiven, gläubigen Anfängen sich durch Lebenserfahrung herausarbeitend, am Ende die Machtverhältnisse und Konventionen ihrer Zeit durchschaut und, bis auf den Grund ernüchtert, aber nicht resigniert, mit ihnen umzugehen, ja zu spielen weiß.“ (Christa und Gerhard Wolf, in: „Christa und Gerhard Wolf: Till Eulenspiegel“, Annegret Herzberg im Interview mit Christa und Gerhard Wolf, in: Sonntag, 14.1.1973, S. 6.)
Wie eine Art Mut machendes Maskottchen oder Bündnispartner taucht Eulenspiegel zwischen Carlfriedrich Claus und den Wolfs immer wieder auf, um in dunklen Situationen ein befreiendes Lachen auszulösen. „Eulenspiegel und Pleite sind fast synonym. Fast. Denn mitten in der Scheisse begann Eulenspiegels Gelächter,“ schrieb Carlfriedrich Claus am 24. März 1982 an Gerhard Wolf.
Carlfriedrich Claus, ohne Titel, 1979, Feder, Tusche, zweiseitig auf Transparentpapier, Z 645, Christa-und-Gerhard-Wolf-Kunststiftung am Stadtmuseum Berlin © VG Bild-Kunst Bonn 2025, Fotomontage: Martin Hoffmann
Ein Sprachblatt für Christa Wolf: Vier Augen, zwei wach die Betrachtenden anschauend, zwei konzentriert nach innen blickend, heben sich von einem schwebenden Grund aus blauen und schwarzen Denk- und Schreibspuren ab. Unter dem zentral platzierten Auge mit roter Iris werden Satzfragmente lesbar: „… energie / präsenz / (v)erdichteten schweigens im satzbau …“ – Carlfriedrich Claus widmete dieses Blatt Christa Wolf und sandte es ihr zum Geburtstag mit den Worten: „Liebe Christa, zu Deinem 18.3.79 wünsche ich Dir herzlichst Gutes, Gesundheit, Glück; für Deine Arbeit, die so wichtig ist, das, was Du in Deinem Gedankengebiet ‚Beispiele ohne Nutzanwendung’ formuliert hast: nicht loslassen. In freundschaftlicher Verbundenheit bin ich Dein Carlfriedrich“
Ein Projekt der Initiativgruppe „Briefwechsel zwischen Christa und Gerhard Wolf und Carlfriedrich Claus“: Katrin Wolf, Martin Hoffmann, Andrea Klein, Matthias Zwarg, Anke Paula Böttcher
in Kooperation mit und Dank an
Kunstsammlungen Chemnitz | Stiftung Carlfriedrich Claus-Archiv
https://www.kunstsammlungen-chemnitz.de/haeuser/carlfriedrich-claus-archiv/
Chemnitzer Verkehrs-AG
https://www.cvag.de/
Auf ein zweites Folgeprojekt möchten wir an dieser Stelle noch hinweisen:
Antlitz des Friedens
Hebräische Sprache und jüdische Kultur im Werk von Carlfriedrich Claus
Ausstellung und Publikation nach einer Idee von Gerhard Wolf
25.05.–06.09.2025
Morgner Archiv. Galerie Agricolastraße, Agricolastraße 25, 09112 Chemnitz
www.morgnerarchiv.de